Bundesarchiv, Bild B237-017

Wegbereiterin der Geschlechtergerechtigkeit

Erna Scheffler

21.09.1893 - 22.05.1983

Erna Scheffler wurde 1951 zur ersten Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Von den persönlich erfahrenen Einschränkungen bis zur weitreichenden Durchsetzung des Gleichberechtigungsprinzips im Recht sind ihr Leben und Wirken Spiegel der rechtlichen Stellung von Frauen im 20. Jahrhundert.


In eine wohlhabende Kaufmannsfamilie hineingeboren, strebte Erna Scheffler zunächst eine Karriere als Sängerin an. Dem frühen Tod des Vaters, der ihre Mutter in den Status abhängiger Rechtlosigkeit zwang und Scheffler einem Vormund überantwortete, folgte eine weichenstellende Erkenntnis: Ihr künftiger Beruf musste ihre Unabhängigkeit garantieren können. Mit 17 Jahren erlangte sie an einem Knabengymnasium das Abitur und begann zunächst ein Studium der Medizin, dann der Rechtswissenschaften. Da Frauen im Kaiserreich keine Staatsexamina ablegen durften, beendete Erna Scheffler ihr Studium 1914 mit einer Promotion und ist danach auf Tätigkeiten in Rechtsberatungsstellen und als Hilfsreferentin beschränkt. Erst während der Weimarer Republik legte sie beide Staatsprüfungen ab und tritt mit dem Überschreiten der Altersgrenze für Frauen als Richterin in den Staatsdienst ein. 1933 entließen die NS-Machthaber Scheffler aufgrund ihrer jüdischen Herkunft.


Als wiedereingesetzte Richterin konzentrierte Erna Scheffler ihre juristische Expertise fortan auf die Gleichberechtigung der Frau im Recht. Ihre Position verdichtete sie in der Feststellung, dass ein biologischer bestehender Unterschied keinen rechtlich bindenden Tatbestand darstellen dürfe. Mit einem Referat auf dem Deutschen Juristentag von 1950 stellte sie maßgebliche Leitsätze zur Verwirklichung des Grundrechts auf Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG) auf. Diese Leitsätze prägten in der Folge gesamtgesellschaftlich relevante Rechtsbereiche maßgeblich mit, etwa in Regelungen zur Ehe, zur Familie oder zum Ausüben eines Berufes.


1951 wurde Erna Scheffler zur ersten Richterin des Bundesverfassungsgerichtes gewählt und verhandelte mehrere Wegmarken zur Gleichberechtigung mit. Dazu gehörte 1959 die Entscheidung des Gerichts zum sogenannten „väterlichen Stichentscheid“, die das gleichberechtigte Entscheidungsrecht von Eltern in Fragen des Nachwuchses und damit die „völlige Gleichordnung von Mann und Mutter“ festschrieb. Das Urteil brach mit der männlichen Autorität und stärkte die rechtliche Teilhabe von Frauen in der westdeutschen Nachkriegsdemokratie. Zur gleichen Zeit trat Scheffler jedoch auch dafür ein, „Sprache, Rasse, Abstammung“ als Kriterien der Einbürgerung zuzulassen; das Diskriminierungsverbot von Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes sei in diesem Fall nicht relevant. Erna Scheffler und weitere westdeutsche Rechtsexperten stellten mit dieser Interpretation die Vorstellung von „Rasse“ über die Verfassung.


Nach ihrer Zeit als Bundesverfassungsrichterin wirkte Erna Scheffler Publizistin und Vortragsrednerin, als Sachverständige und Netzwerkerin in national und international organisierten Frauenverbänden. Denn sie blieb überzeugt, dass der Unterschied bestand zwischen rechtlich garantierter Gleichberechtigung und tatsächlicher Gleichheit in Wirklichkeit noch nicht überwunden war.