Bundesarchiv, Bild 183-H28400

Gerechtigkeit im Recht

Gustav Radbruch

21.11.1878 - 23.11.1949

Welchem Ziel dient das Recht? Was ist Gerechtigkeit? Was ist wichtiger, Gleichheit oder Rechtssicherheit? Auf diese Fragen fand Gustav Radbruch, Jurist und Justizpolitiker in der Weimarer Demokratie, Antworten. Als Urheber der „Radbruchschen Formel“ gehört er zu den wichtigsten Rechtsphilosophen des 20. Jahrhunderts


Obwohl der Kunst und dem Theater zugetan, studierte der in Lübeck geborene Gustav Radbruch an verschiedenen Universitäten auf Wunsch des Vaters Rechtswissenschaften und legte in schneller Folge 1902 seine Doktorarbeit und 1903 seine Habilitation vor. Der vom liberalen Denken seines Doktorvaters Franz von Liszt tief geprägte Jurist erhielt als Sozialdemokrat erst 1919 eine Professur in Kiel, bevor er 1926 in Heidelberg seine akademische Heimat fand.

Am Ende des Ersten Weltkrieges sprach sich Radbruch in einer Flugschrift öffentlich für die Idee einer demokratischen Republik aus, eine Position, die er mit der 1921 publizierten Parteienlehre bekräftigte. Als Mitglied der SPD gehörte er von 1920 bis 1924 dem deutschen Reichstag an und war in drei Regierungen Justizminister. Mehrere Rechtsreformen dieser Zeit gehen auf seine Initiative oder seine Mithilfe zurück: So etwa ein von Radbruch selbst erfolgreich – und gegen seinen eigenen Berufsstand – begründetes Gesetz, das Frauen ermöglichte, Richterinnen zu werden; oder, nach dem Mord an Außenminister Walther Rathenau, das Gesetz zum Schutz der Republik.

Radbruchs Rechtsdenken war darauf gerichtet, das Recht als Grundlage für das menschliche Zusammenleben zu bestimmen. Recht sei dann gerecht, wenn es allgemein gegenüber Allen gelte, es ohne Ausnahme angewendet werde und das Ziel habe, Gerechtigkeit herzustellen. Da aber kein Richter, kein Staat letztgültig klären kann, was „Gerechtigkeit“ sei, habe die durchsetzende Anwendung des Rechts im Zweifel immer Vorrang. Gerade Richter müssten jene Rechtssicherheit bewahren und  dem gesetzten „positiven“ Recht – Recht, wie es geschrieben ist, nicht wie es sein sollte – unbedingt zu gehorchen.

Diese Überlegungen fasste Gustav Radbruch 1932 in der dritten Auflage seines wichtigsten Werks, der Rechtsphilosophie, zusammen. Bis heute bleibt die Frage, ob Radbruchs Denken für die Selbstpreisgabe der Weimarer Demokratie mitverantwortlich ist. Fest steht, dass Radbruch mit Beginn des NS-Regimes zwangspensioniert wurde und erst 1945 auf seinen Lehrstuhl zurückkehrte. Ein Jahr später erschien eine Schrift, die aus Radbruchs Erfahrung nationalsozialistischen Unrechts entstand und deren Kern verkürzt lautet: „Extremes Unrecht ist kein Recht“ lautet. Niemand, auch kein Richter, müsse Recht befolgen, das zur Idee der Gerechtigkeit unerträglich in Widerspruch stehe – denn es ist nicht länger Recht. Bis in die Gegenwart gehört jene Radbruchsche Formel zu den zentralen Prinzipien des Rechtsdenkens im 20. Jahrhundert.