Rasso Bruckert

Nicht über uns - ohne uns!

Gusti Steiner

21.05.1938 - 12.06.2004

Von Kindheit an auf einen Rollstuhl angewiesen, setzte sich der Sozialarbeiter und Aktivist Gusti Steiner prominent für die Emanzipation und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung in Westdeutschland ein. Mit aufklärerischen Kursen und medienwirksamen Aktionen schufen Steiner und weitere Behindertenbewegte erstmals eine kritische Aufmerksamkeit für das Leben von Menschen mit Behinderung in Gesellschaft und Politik.


Ab seinem elften Lebensjahr blieb Gusti Steiner aufgrund fortschreitenden Muskelschwunds auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Schwierigkeiten, 1972 in Frankfurt am Main eine barrierefreie Wohnung zu finden, sowie die Unmöglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können, politisierten ihn.


Erstmals 1973 bot Gusti Steiner zusammen mit dem Investigativjournalisten Ernst Klee einen Kurs an der Frankfurter Volkshochschule an, um die Aufmerksamkeit der nichtbehinderten Mehrheit in Deutschland auf den Alltag von Menschen mit Behinderungen zu lenken und deren voranschreitende Emanzipation einzufordern. In öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen rückten Steiner und die Mitglieder des Kurses die gesellschaftliche Ausgrenzung und Fremdbestimmung behinderter Menschen in den Fokus. Dazu organisierten sie Straßenbahnblockaden in der Frankfurter Innenstadt, stifteten in ironischer Absicht ein Denkmal in Form einer Rollstuhlrampe für ein öffentliches Gebäude oder zeichneten jährlich besonders behindertenungerechtes Wirken mit der „Goldenen Krücke“ aus. Einen Höhepunkt im aktivistischen Leben Gusti Steiners und zugleich der sozialen Protestbewegung von Menschen mit Behinderungen, war die bundesweit wahrgenommene Blockade der Eröffnungsveranstaltung zum „Internationalen Jahr der Behinderten“ im Januar 1981. Mehrere Behindertenbewegte, unter ihnen Steiner, ketteten sich in der Dortmunder Westfalenhalle auf der Rednerbühne fest, verhinderten die geplante Ansprache des Bundespräsidenten Karl Carstens und forderten in einer eigenen Resolution, die Schein-Integration, Entmündigung und Misshandlung behinderter Menschen zu beenden. Langfristig gaben diese Protestaktionen den Anstoß zu einer Erweiterung des Artikels 3, Absatz 3 im Grundgesetz. Seit 1994 ist dort festgeschrieben: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“


Gusti Steiners Beobachtung, von Politik und Gesellschaft „behindert zu werden und dadurch zum Behinderten gemacht zu werden“, bildete den Kerngedanken seines behindertenpolitischen Wirkens. Inspiriert von den Zielen und Positionen der US-Bürgerrechtsbewegung, setzte sich Steiner ausdrücklich für das autonome, selbstbestimmte Leben und Handeln behinderter Menschen gegenüber diskriminierenden und bevormundenden Strukturen ein und arbeitete so auf die Teilhabe und Teilnahme behinderter Menschen am gesamtgesellschaftlichen Leben in Deutschland jenseits von Fremdzuweisungen hin.