Förderverein ehemalige Synagoge Wiesenbronn

Adresse

Badersgasse 4
97355 Wiesenbronn

Wiesenbronner Ballotage

Ehemalige Synagoge Wiesenbronn

Die Ausstellung in der Ehemaligen Synagoge Wiesenbronn dokumentiert nicht nur die Geschichte der Synagoge und der jüdischen Gemeinde sowie das Zusammenleben von Juden und Christen vor Ort; ein besonderes Ausstellungsstück, eine Ballotage von 1902, steht für tief verwurzelte demokratische Praktiken in privaten Vereinigungen.


Im Brockhaus-Conversations-Lexikon von 1809 wird erläutert: „Die Ballotage (a. d. Franz.-spr. Balljotaasche), die Wahl durch Kugeln: wenn nemlich irgend ein in einer Gesellschaft zum Mitglied Vorgeschlagener gewählt werden soll, so werden weiße und schwarze Kugeln dazu genommen, wo denn gewöhnlich jene für und diese wider einen sind. - Ballotiren heißt daher durch Kugeln wählen, oder seine Stimme geben.“ In Wiesenbronn ließen insbesondere der 1863 gegründete Schützenverein und der 1893 aus der Taufe gehobene Männergesangverein bei Mitgliederneuaufnahmen immer wieder „die Kugeln rollen“. So legte §9 der Gründungssatzung des Gesangvereins fest: „Über die Aufnahme von Mitgliedern entscheidet die Gesellschaft durch Ballotage“. §12 führt näher aus: „Über die Ballotage muß jedem Mitglied vorher Mitteilung gemacht werden. Sie wird in der Weise ausgeführt, dass jedes Mitglied eine weiße und eine schwarze Kugel in die Hand bekommt. Weiß stimmt dafür, schwarz dagegen. Stimmt die Mehrzahl der anwesenden Mitglieder dafür, so gilt die Aufnahme, bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorstand.“ Das ausgestellte Objekt erwarb der Gesangverein 1902. Im Protokollbuch des Vereins ist vermerkt: „Auf Rechnung des Vereins wurde angeschafft 60 weiße und 60 schwarze Ballotagekugeln nebst Ballotageschachtel für 1,20 Mark.“ Im Laufe der Jahre gingen einige Stimmkugeln verloren. Erhalten haben sich 34 weiße und 26 schwarze Kugeln.

Mit dem Ende der Weimarer Demokratie 1933 war auch kein Platz mehr für demokratische Entscheidungen im Vereinswesen. Die Vereine wurden von der Diktatur der Nationalsozialisten gleichgeschaltet und dem Führerprinzip unterworfen. Im Schützenverein Wiesenbronn wurde z. B. 1934 der bisherige Vorstand als neuer „Führer“ von den Mitgliedern nur noch bestätigt. Eine Wahl fand nicht mehr statt. Nach der Wiedergründung des Schützenvereins 1952 kam erneut das Ballotieren zum Einsatz. Zum letzten Mal wurde 1956 über die Aufnahme eines Mitglieds mit den Kugeln entschieden. Bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wird die „Kugelung“ bei der Neuaufnahme von Mitgliedern noch heute durchgeführt.

Die Ballotage von Wiesenbronn dokumentiert zum einen die Praxis und Mechanik demokratischer Entscheidungen, die in privaten Vereinen Gang und Gäbe waren, lange bevor sich das allgemeine, geheime, unmittelbare, freie und gleiche Wahlrecht in der Politik durchsetzen konnte. Zum anderen symbolisiert sie das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen. Jüdische Mitbürger traten im Gesangsverein nicht nur als aktive Sänger auf, sondern übernahmen für Jahrzehnte auch Verantwortung im Vorstand. Vor den Kugeln waren alle Mitglieder gleich, unabhängig ihrer Konfession.


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